Gegenwart und Zukunft

Heute möchte ich mich einem weiteren Technik Thema widmen, das anscheinend nur von den wenigsten Führenden bewusst eingesetzt wird: Beim Tango bin ich als Führender gedanklich immer gleichzeitig in mehreren zeitlichen Ebenen unterwegs. Ich habe für mich zumindest drei zeitliche Ebenen identifiziert, die ich in diesem Beitrag vorstellen möchte. Wahrscheinlich gibt es noch mehr. Kommentare und Ergänzungen sind wie immer willkommen.

Die erste zeitliche Ebene ist die Gegenwart. Hier findet meine Führung statt, ich spüre die Reaktion der Folgenden usw. Den genauen Ablauf habe ich in der ersten Hälfte dieses Blog Beitrags beschrieben.

Die zweite zeitliche Ebene befindet sich einen Schritt weiter in der Zukunft. Ich muss wissen, welchen Schritt ich als nächstes führen möchte, damit ich meinen eigenen Schritt, mit dem ich den Schritt der Folgenden begleite, entsprechend setzen kann. Diesen Ablauf, also dass der Herrenschritt den nächsten Damenschritt vorbereitet, habe ich in der zweiten Hälfte dieses Blog Beitrags beschrieben. 

Die dritte zeitliche Ebene ist etwas subtiler und liegt ungefähr einen halben Schritt in der Zukunft. Als Führender weiß ich, welche Bewegung als nächstes kommen wird, und diese Information kann ich bereits an die Folgende übermitteln, bevor die eigentliche Führung der Bewegung stattfindet. Ich kann also die nächste Bewegung schon vorbereiten, ohne dass ich mit der tatsächlichen Führung dieser Bewegung beginne.

Das funktioniert dadurch, dass ich meine Körperspannung so aufbaue, wie ich sie für die nächste Bewegung benötige — und zwar ohne dass ich die Bewegung durchführe, die ich mit der Anspannung vorbereite.

Ein Beispiel: Ein Rückwärtsocho beginnt mit einem Seitschritt (normalerweise aus Sicht des Führenden nach links). Nun wird die Folgende auf ihre Achse gestellt mit der Absicht, eine Drehung rückwärts zu machen, gefolgt von einem Rückwärtsschritt der Folgenden. 

Damit die Folgende stabil in ihrer Achse steht, muss ich die Bewegung nach links weiterführen und gleichzeitig in die dritte Ebene gehen um eine weitere Bewegung der Folgenden nach links zu stoppen. Diese Bewegung, mit der ich die Folgende auf ihre Achse stelle, bedeutet also für mich als Führenden:

  1. In der Gegenwart führe ich die Bewegung nach links weiter. Gleichzeitig richte ich mich auf um in die dritte Ebene zu kommen und damit die weitere Bewegung der Folgenden nach links zu stoppen.
  2. Einen Schritt in der Zukunft weiter gedacht weiß ich, dass ich einen Gewichtswechsel auf meinen rechten Fuß machen werde, während sich die Folgende drehen wird. Deswegen führe ich meinen rechten Fuß an meinen linken Fuß heran, lege aber noch kein Gewicht auf ihn ab.
  3. Als Vorbereitung der Drehung kann ich jetzt schon, während ich mich weiter nach links bewege und meinen rechten Fuß zum linken Fuß führe, meine rechte Körperseite anspannen und gleichzeitig die linke Seite locker lassen, um der Folgenden zu signalisieren, dass als nächstes die Rückwärtsdrehung folgen wird.

Diese Art der Führung ist einerseits sehr subtil und von außen nicht wahrnehmbar aber andererseits sehr effektiv. Die Folgende nimmt diese Anspannung nicht bewusst wahr, aber sie spürt die Anspannung und ist dadurch schon auf die nächste Bewegung vorbereitet. Dadurch wird die Schrittfolge insgesamt deutlich sanfter und fließender. 

Gleichzeitig behält die Folgende ihre stabile Achse, weil die Bewegung (hier: die Drehung) erst beginnt, wenn sie ihre stabile Achse erreicht hat. Deswegen erfolgt die Vorbereitung der Drehung durch die Anspannung vor der Führung der Drehung.

Dieser Effekt ist insbesondere sehr wirkungsvoll, wenn man von einer linearen Bewegung (im Beispiel: dem Seitschritt) in eine Drehbewegung wechseln möchte oder umgekehrt. Der Eingang und der Ausgang in einen Ocho sind typische Anwendungsmöglichkeiten.

Genauso funktionieren auch nicht geführte Verzierungen der Follower. Follower sollten den Führenden möglichst nicht plötzlich mit eigenen Schritten überraschen. Besser ist es, wenn sie durch ihre Körperspannung signalisieren, dass sie eine eigene Verzierung in den Tanz einbauen wollen. Diese Anspannung erfolgt, bevor der nächste Schritt geführt wird. Der Führende nimmt dieses Signal (bewusst oder unbewusst) wahr, beginnt dann nicht mit der von ihm geplanten Führung des nächsten Schrittes sondern gibt stattdessen der Folgenden die Zeit, die sie für ihre Verzierung braucht.

Wenn die Folgende am Ende ihrer Verzierung ihre Anspannung löst, dann signalisiert sie damit dem Führenden, dass er mit seiner Führung weitermachen kann.

Da dieser Dialog im Paar nur über die Anspannung der Muskeln kommuniziert wird aber ohne eine Bewegung, ist der Dialog von außen nicht zu sehen sondern wird nur vom Paar selbst gespürt.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wer geht auf den Taktschlag?

Kurznotiz 18: The Crack of Doom

Arm an Arm - oder doch nicht?