Kurznotiz 20: In der Champions League

Mein Blogger-Kollege Gerhard Riedl vertritt hin und wieder sehr interessante Thesen über die Sinnhaftigkeit von Tango Unterricht. Eine dieser Thesen formuliert er hier

Es gibt eine Tangobekannte, deren (noch nicht sehr langen) Werdegang ich wohl ziemlich von Beginn an verfolgte. Nach meinem Eindruck tat sie sich anfangs ziemlich schwer. Das hat sich gründlich geändert. [...] Als ich sie kürzlich wieder einmal aufforderte, stockte mir schier der Atem ob ihrer Fähigkeiten – Tänzerinnen von dieser Qualität kenne ich nicht viele.
Obwohl es mir widerstrebt, Frauen „auszufragen“, konnte ich mir doch die eine Erkundigung nicht verkneifen: „Nimmst du in der letzten Zeit Unterricht, vielleicht Privatstunden?“ Ihre lächelnde Antwort: Nein, gar nicht, sie gehe einfach viel tanzen.
Dies gilt übrigens für eine ganze Liste meiner Tanzpartnerinnen, die für meine Begriffe in der „Champions League“ des Tango spielen: Die meisten hatten wohl irgendwann mal Unterricht, das ist jedoch eher länger her – ihre herausragenden Fähigkeiten aber verdanken sie vorwiegend ihrer Tanzpraxis auf den Milongas. Und vielleicht der Tatsache, dass Tango in ihrem Leben halt eine wichtige Rolle spielt.

Leider verrät Riedl uns nicht, welche Frauen auf der Liste seiner Tanzpartnerinnen stehen, die "in der Champions League des Tango spielen". Daher kann ich seine These nicht direkt überprüfen. Weil mich das Thema interessiert, habe ich mir daher mal für einige Stichproben angeschaut, ob die Frauen, deren Tanz ich live erlebt habe und von denen ich tief beeindruckt bin, tatsächlich keinen (oder nur sehr wenig) Unterricht genossen haben und sie den Rest auf Milongas gelernt haben.

Silvina Tse:

"Silvina Tse started dancing at the age of 6 training in rhythmic gymnastics, skating, swimming and later on continued with hip hop, gyrotonic, contemporary and modern dance."

"Her love for Argentine Tango started in 2009 and shortly after she was studying with the well renowned maestros from Italy and Buenos Aires."

"Silvina decided to dedicate her life exclusively to dance and received FIDS (Federazione Italiana Danze Sportive) professional teacher diploma."

Sigrid van Tilbeurgh

"I started by learning ballet, later my desire to expand and explore new ways of expression brought me to contemporary dance."

"While studying Spanish at university, I continued my education in Argentine tango."

"In 2004, I went to Buenos Aires for one year in order to pursue my formal training in tango."

Maria Filali :

"I received extensive training in academic dance in several conservatories in Vienna, Austria; Stockholm, Sweden; and Bordeaux, France, with a focus on ballet, modern, and then contemporary dance."

"I continued my studies at the same time I attended the Bordeaux Conservatory for dance, where I finished my training with a gold medal award in 1995 followed by a medal of honor in 1996 for modern and contemporary dance."

"In 1997, I discovered Argentine tango, which has been the focus of my career for the past 20 years. For several years, I started by regularly attending the classes of Christophe Lambert and Judith Elbaz."

Charlotte Pedrant:

"Ich komme vom Ballett und vom zeitgenössischen Tanz."

"Ich war Schülerin von Christophe Apprill. Und Chicho Frumboli habe ich die Technik zu verdanken, die ich mir zu eigen gemacht habe. Bei Pablo Veron habe ich auch gelernt."

Zusammenfassung:

Zugegeben: Meine Stichprobe ist nicht repräsentativ. Aber sie bestätigt die These von Gerhard keineswegs. Ganz im Gegenteil: Ich habe doch eher den Eindruck, dass in der europäischen Champions League Tänzerinnen unterwegs sind, 

  • die seit Kindesbeinen Tanzunterricht genossen haben, insbesondere Ballettunterricht,
  • die als junge Erwachsene eine professionelle Tanzausbildung genossen haben. 
  • und die ihre Fähigkeiten im Tango durch den Unterricht bei erstklassigen Tango Lehrern auf- und ausgebaut haben.

Jede dieser Frauen hat mindestens 20 Jahre lang Tanzunterricht genommen, einen großen Teil dieser Zeit auf professionellem Niveau.

Die Frauen selbst scheinen übrigens ebenfalls davon überzeugt zu sein, dass Tango Unterricht eine sinnvolle Sache ist. Jedenfalls geben alle vier Frauen auch selbst Tango Unterricht.

Kommentare

  1. Ich würde dringend empfehlen, meinen Artikel, von dem hier die Rede ist, im Original zu lesen. Und so Zitate in voller Länge zur Kenntnis zu nehmen, worauf Auslassungs-Vermerke hinweisen könnten.
    Aus dem Zusammenhang sollte dann klar werden, dass ich nicht von Profi-Tänzerinnen spreche. Mit denen habe ich null Kontakte, schon deshalb, weil sie sich wohl gar nicht von mir auffordern ließen.
    Ich spreche von Hobbytänzerinnen, die ich auf normalen Milongas treffe.
    „Champions League“ war ein begeistertes Lob und sollte sich weder auf bezahlte Balltreter noch auf ebensolche Parkett-Artistinnen beziehen.
    Weiterhin könnte ein Lesen meines gesamten Textes zur Information führen, dass es nicht nur im Tango unter den Künstlerinnen und Künstlern durchaus Autodidakten gibt. Ich habe eine Menge Namen genannt. Und richtig: Etliche haben mit Ballett angefangen – und eben nicht mit Tango. Und wer mit dem Tanzen Geld verdienen will, benötigt jahrelanges Lernen, in welcher Form auch immer.. Das habe ich nie bestritten. Ob alle, die hierzulande Tango lehren, diesen Background haben, mag ich lieber nicht beurteilen.

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    1. Lieber Gerhard,
      Ich habe mir Deinen Artikel noch einmal durchgelesen. Du sprichst explizit von der Champions League, und die ist nun einmal eine Profiliga. Alle Deine Beispiele, von William Turner bis Andy Warhol, von Johann Sebastian Bach bis Paul McCartney handeln ebenfalls von Profis. Ich sehe keine Stelle, an der Du deutlich machst, dass sich Deine Anmerkungen bei den Tango Tänzerinnen auf den Amateurbereich beziehen. Ganz im Gegenteil: Du zitierst zur Untermauerung Deiner Thesen ein Interview mit Eduardo Cappussi und Mariana Flores. Bei den beiden handelt es sich ebenfalls um Profis.
      Insofern sehe ich keinen Anlass, mein Zitat zu ändern.
      Liebe Grüße,
      Helge

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    2. Da hatte ich wohl mit dem sinnbildlichen Vergleich „Champions League“ (früher: „Europa-Pokal der Landesmeister“) Pech. Mir war bislang nicht bekannt, dass man im Tango Fußball spielt oder jedenfalls die Sieger in einer Serie von Gruppenspielen und Finals ermittelt. Aber ich lerne gern dazu.
      https://de.wikipedia.org/wiki/UEFA_Champions_League
      Eigentlich könnte ich ja stolz darauf sein, dass man mir zutraut, mit international erfolgreichen Showtänzerinnen auf dem Parkett unterwegs zu sein. Ich muss es aber schon deshalb dementieren, da ich mir sonst wieder neidzerfressene Kommentare einhandle. Nebenbei stimmt es halt auch nicht.
      In meinem Artikel habe ich bekannte Persönlichkeiten genannt, die Autodidakten waren, weil die Leser diese Leute normalerweise kennen. Bei der Nennung von Frau XY aus Pörnbach hätt’s mir wieder keiner geglaubt. Aber sicherlich gibt es unter den Amateuren noch viel mehr Leute, die es durch eigenständiges Lernen zu beachtlichen Erfolgen gebracht haben – nicht nur im Tango.
      Was das Zitat betrifft: Ich halte es für eine gute Übung, in wörtlichen Übernahmen eine ausgelassene Passage zu kennzeichnen. Vielleicht könnte man das Ganze nochmal mit dem Originaltext vergleichen.

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  2. Noch ein Kommentar von Klaus Wendel (eingereicht per Mail)

    Man darf hier natürlich nicht vergessen, dass Herr Riedl über herausragende Tanzkenntnisse und die Expertise verfügt, um Tänzerinnen zu beurteilen. (…mal sehen, ob ER beim Lesen dieses Kommentars in der Lage ist, Satire zu erkennen, wenn sie von jemand anderem formuliert wird, denn er versteht oft nur seine eigenen Witzchen).
    Noch eine Bemerkung über die Zitate von Gerhard Riedl über die Fortschritte seiner Partnerinnen: Ich habe übrigens öfters einzelne Frauen in Einzelstunden, die mir von älteren Herren berichten, die sie nach einem gelungenen Tanz ausgiebig loben. Diese Damen sind natürlich gar nicht davon angetan, von ihren älteren Partnern, die tänzerisch kaum noch etwas auf die Kette kriegen, dann „väterlich“ gelobt zu werden. Fragt man Frauen mal nach Unbeliebtheit seltsamer Marotten ihrer Tanzpartner, zählen diese Lobeshymnen eindeutig zu den meist genannten Fauxpas. Offensichtlich gehört G.R. auch dazu, sehr interessant.
    Besonders interessant in seinem Kommentar:
    […] Eigentlich könnte ich ja stolz darauf sein, dass man mir zutraut, mit international erfolgreichen Showtänzerinnen auf dem Parkett unterwegs zu sein. Ich muss es aber schon deshalb dementieren, da ich mir sonst wieder neidzerfressene Kommentare einhandle. […]
    Keine Sorge Herr Riedl. Neidzerfressen? Eher nicht, sondern eher Verwunderung darüber, dass es eine Dame mit hohem Tanzlevel einen ganzen Tango lang mit Ihnen durchgehalten haben könnte. 3 Minuten können sich nämlich wie eine Ewigkeit anfühlen.
    Im Gegensatz zu Helge gibt es ja Videos, die seine Tanzkenntnisse - oder was er dafür hält - belegen.
    Dass Herr Riedl in seinem neuen Beitrag wieder, ohne Helge jemals auf der Piste gesehen zu haben, nur anhand Helges beschriebener Tanzerlebnisse, heruntermacht, spricht wieder mal für sich.
    Ich habe nämlich Helges Beurteilung einer seiner Tangos nur als seine SUBJEKTIVE Einschätzung verstanden. Denn wer kennt es nicht, wenn man nach einem sehr gelungenen Tango das Gefühl hatte, man könne fliegen. Wirklich ein tolles Gefühl.
    Siehe:
    https://milongafuehrer.blogspot.com/2024/08/neues-aus-der-champions-league.html

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