Wohin fließt die Energie?

Bekanntlich gibt es vom Tango drei verschiedene Varianten: Tango, Vals und Milonga. Der Unterschied wird üblicherweise festgemacht am Takt: 4/4 beim Tango, 3/4 beim Vals und 2/4 bei der Milonga. Das ist auch völlig richtig um zu erkennen, welche Musik gerade gespielt wird.

Aber was bedeutet das nun für meinen Tanz?

Die drei Viertel beim Vals werden (im Gegensatz zum Wiener Walzer) nicht wirklich getanzt. Es wird immer nur der erste von den drei Tönen getanzt, sodass sich die Figuren an das im Tango übliche 4-Schritte Muster anpassen. Was wiederum dazu führt, dass viele Tänzer im Vals dieselben Figuren tanzen wie im Tango.

Und da die Milonga das gleiche Taktschema hat wie der Tango, ist auch hier die Versuchung groß, bei einer Milonga dieselben Figuren zu tanzen wie beim Tango.

Ich finde diese Unterscheidung nach Taktschlag für mich als Tänzer daher nicht so wirklich hilfreich. Tango, Vals und Milonga sind für mich drei Tänze mit vollkommen unterschiedlichen Charakteristika.  Darum hat sich für mich in den letzten Monaten ein ganz anderes Bild entwickelt, das mir beim Tanzen viel mehr hilft: Die Unterscheidung nach der Richtung, in der die Energie zwischen den Tänzern fließt. Dieses Bild möchte ich dem folgenden Beitrag vorstellen.

Mit dem Fluss der Energie meine ich Folgendes: Wenn ich einen Schritt machen möchte, dann befinde ich mich zunächst in meiner Achse. Ein Bein ist das Standbein, das andere Bein ist das Spielbein. Mit dem Standbein bin ich vollkommen geerdet. Der Boden gibt mir die Energie, die ich nutze, um einen kontrollierten Schritt zu machen. 

Ich nehme also die Energie vom Boden aus und ... wie geht es jetzt weiter? In welche Richtung schicke ich nun diese Energie? Rein geometrisch gibt es dafür vier Möglichkeiten:

Variante 0: Schräg nach oben

Diese Variante führt dazu, dass sich meine Tanzpartnerin ebenfalls nach oben orientiert. Sie hebt sozusagen vom Boden ab. Der Tanz bekommt also eher die Anmutung von einem Ballett als von einem Tango. Diese Variante sollte also möglichst vermeiden werden.

Bevor jemand anfängt zu lachen: Diese Variante beobachte ich zum Beispiel recht häufig dann, wenn eine Frau einen deutlich größeren Mann führt. Die klassische Regel für den Energiefluss besagt, dass die Kommunikation von Kraftzentrum zu Kraftzentrum (oder, einfacher ausgedrückt: von Bauchnabel zu Bauchnabel) erfolgt. Und das ist in so einem Fall nun einmal von unten schräg nach oben.

Meine Empfehlung ist an jeden, der einen größeren Tanzpartner führt, ist daher: Vergesst diese Regel. Orientiert euren Energiefluss nicht am Körperbau eures Tanzpartners (auch wenn das sehr verführerisch ist). Orientiert euch stattdessen daran, was ihr mit eurem Energiefluss erreichen wollt (siehe unten).

Variante 1: Waagerecht

Diese Variante lässt die Folgende über das Parkett schweben. Perfekt für Drehungen aller Art. Und alle Arten von Stopps / Paradas passen eher nicht dazu.

Also anders ausgedrückt: Wir tanzen einen Vals.

Variante 2: Schräg nach unten

Hier wird die Energie vom Führenden dorthin geschickt, wo der Fuß der Folgenden landen soll. Da die Energie nach unten geht, bleibt die Folgende am Boden und tanzt geerdet. Gehschritte und Stopps sind kein Problem. 

Andererseits wird die Folgende aber auch nicht am Boden festgenagelt. Sie kann weiterhin nach Belieben Drehfiguren tanzen.

Wir tanzen also einen Tango.

Variante 3: Senkrecht nach unten

Der Tanz ist bei jedem Schritt geerdet, geerdet, geerdet. Erwähnte ich schon, dass jeder Schritt geerdet ist? Wir gehen. Oft und viel. Wenn eine Drehfigur getanzt werden soll, dann nur in der gegangenen Form.

Wir tanzen also eine Milonga.

Diese Unterscheidung macht es für mich viel klarer, wie ich zu der unterschiedlichen Musik tanzen kann.

Kommentare

  1. Der Tango Vals wird meistens im 6/8 Takt gespielt, hört sich ähnlich an ist aber ein Unterschied. Somit sind die Verdopplungen oft bei 1-2 + 4-5 oder andere Akzentuerung bei (6)-1 + 3-4 +6-1 + 3-4, womit die 1 und die 4 einen sehr synkopierten Charakter bekommen. Außerdem hört sich dann der Vals nicht fließend sondern eher Stakkato an. Siehe Video Gustavo Naveira & Gisell Ann "Viejo Portón" von Biagi in letzterer Akzentuierung, also 3-4 6-1 3-4 6-1. Interessant, wie Gisell Ann in den Drehungen passend dazu die Seit-Vor und Seit-Rück Schritte verdoppelt.

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  2. Video dazu : https://youtu.be/_eq-VPlSIiY?si=6Hw6G8EFIZGCnL4u

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    1. Dieses Video sollte Pflicht-"Anschauung" für alle "Wir tanzen alles Milonguero eng" Ideologen sein: Dynamische Umarmung, alles leicht und fröhlich, zwischendrin mal eine Soltada und Colgada, wunderbar in der Musik - einfach perfekt!

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    2. Bitte alle nochmal kurz zurück zum Thema des Artikels: Wohin fließt die Energie? Im Video ist wunderbar zu sehen, dass die Energie waagerecht fließt. "Perfekt für Drehungen aller Art." Passend zum Valse.

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    3. Also erstens, es heißt (wie Klaus ja schon geschrieben hat) VALS (ohne 'e'). "Valse" ist das französische Wort für Walzer (siehe z.B. https://www.youtube.com/watch?v=07xTvC5a9YQ).
      Und zweitens sehe ich keine waagrecht fließende Energie, ich sehe nur ein tolles Tanzpaar. Zeig mir zum Kontrast ein anderes Vals-Video, wo die Energie irgendwoanders hinfließt, dann verstehe ich vielleicht, was du meinst.

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    4. "Vals" oder "Valse": Danke für den Hinweis. Habe ich korrigiert.
      Wenn die Energie nicht waagerecht fließt, dann passt der Tanzstil nicht zum Vals. Das sage ich doch gerade.

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    5. Habe ich schon verstanden. ;-)
      Ich hatte gehofft, du hättest als Gegenbeispiel ein Video, wo ein Vals "falsch", also energetisch in die falsche Richtung getanzt wird.

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    6. Schwierig: Die Profis machen es ja richtig. Und diejenigen, die es nicht beherrschen, möchte ich nicht bloßstellen. Schau Dich doch einfach mal auf einer Milonga um und halte Ausschau nach Führenden, die im Vals eine Barrida tanzen. Dann siehst Du ziemlich deutlich, wohin die Energie fließt (bzw in diesem Fall eben auch nicht).

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  3. Hallo Helge,
    leider verstehe ich auch nicht, welche Energie du meinst. Ich kenne den Begriff nur aus der Physik, und da gibt es 7 Formen, eine davon ist die kinetische Energie, also die Energie, die ein Körper aufgrund seiner Bewegung enthält. Aber Energie ist eine physikalische Größe, die man messen kann.
    Bewegung kann man sehen und daraus schließen, dass die Energie hoch sein muss, wenn die Bewegung lange dauert oder sehr schnell abläuft. Wenn Bewegung nach oben geht, muss die Energie höher sein als Richtung Boden, weil die Gravitation auf uns wirkt. Also ist die Kraft, die ein menschlicher Körper aufwenden muss, zuerst einmal gegen die Gravitation. Wenn der Mensch sich räumlich fortbewegt, weil er nicht fliegen kann, sieht man eine waagerechte Bewegung, aber keine waagerechte Energie.
    Wenn Du den Begriff Energie auf der Meta-Ebene benutzt, ist es für mich auch nicht verständlicher, weil man auch diese nicht sehen und deshalb auch nicht beobachten kann, ob sie in eine Richtung fließt.
    Esoteriker benutzen auch oft Begriffe aus der Physik, aber wenn man genauer nachfragt, werden sie dann schwurbelig.
    Also bitte ich Dich, uns den Begriff Energie, in welche Richtung auch immer, deutlich zu erklären, sonst reden wir aneinander vorbei.
    Mit freundlichen Grüßen
    Klaus Wendel

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    1. Die Energie ist nicht physikalisch gemeint, sondern es geht um den Führungsimpuls, den ich über die Verbindung an meine Tanzpartnerin übertrage, siehe https://helgestangoblog.blogspot.com/2023/05/verbunden-im-hier-und-jetzt.html
      Dieser Führungsimpuls hat nicht nur eine Stärke / Dynamik, sondern auch eine Richtung.

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    2. Achso, wenn Du die meinst, glaube ich zu wissen in welche Richtung: in Richtung Projektion der Partnerin, also von ihm aus schräg nach unten. Er hat mal in einem Workshop erklärt, dass seine Führungsimpulse sehr oft in diese Richtung gehen.

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    3. Das ist ganz genau die Richtung beim normalen Tango.

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