Ein Hoch auf die Goldene Epoche!

Einleitung

Ich lese aktuell die Tango Geschichten von Michael Lavocah. Für mich ein sehr interessantes Buch, das die Goldene Epoche (Epocha de Oro, EdO) lebendig schildert. Ich lerne nicht nur viel, sondern ich habe auch viel Vergnügen beim Lesen. Außerdem ist das Buch gespickt mit Hörbeispielen, die man von der Webseite des Autors herunterladen kann, sodass man seine Einschätzungen und Erklärungen gut nachvollziehen kann. Ein sehr hilfreicher Einstieg in die Orchester der EdO.

Gründlich wie ich bin, habe ich mich auch nach Rezensionen zu dem Buch umgesehen. Gerhard Riedl ist natürlich wie immer dabei, aber zum Beispiel auch Cassiel. Dessen Rezension deckt sich ziemlich gut mit meinem Eindruck.

Aber: In den Kommentaren zur Rezension von Cassiel schreibt Christian Tobler, ein Schweizer Tango-DJ (TJ) seitenlange Kommentare, in denen er sich zu Äußerungen hinreißen lässt wie zum Beispiel

Ich bin der Ansicht, dass sich den meisten TJs das Repertoire der EdO nur über eine jahrelange und regelmässige, intensive und über weite Strecken weitgehend ausschliessliche Beschäftigung in ihrem ganzen musikalisch-tänzerischem Reichtum erschliesst. Dazu ist diese Weltdie sehr nahe an Perfektion einfach zu komplex – eine Subkultur die Hochkultur ist.

Weil die Qualitäten der Aufnahmen der EdO in jeder Hinsicht aussergewöhnlich sind, erschliessen sich den meisten DJs viele Qualitäten dieser Aufnahmen erst, wenn sie sich intensiv und einigermassen ausschliesslich über lange Zeit damit beschäftigen.  

(Er ist Schweizer. Deswegen ist das "ss" statt "ß" OK.)

Meine Meinung

Ich komme musikalisch aus der klassischen Musik und nicht vom Tango. Wenn ich mir die Zeit der Goldenen Epoche anschaue, dann denke ich eher an das Spätwerk von Strawinsky oder an Schostakowitsch. Und Janacek ist auch noch nicht so lange her. Von der musikalischen Kraft dieser Musik ist der Tango Lichtjahre entfernt. Tango ist eine gefällige Musik, zu der man gut tanzen kann. Aber das ist es dann auch schon. Perfektion oder musikalischen Anspruch wie bei den genannten Klassikern findet man da ganz sicher nicht.

Zur Erläuterung ein paar Beispiele: Hört Euch bitte mal die Sinfonietta von Janacek an oder die Sinfonie in drei Sätzen von Strawinsky oder die Leningrader Sinfonie von Schostakowitsch. Das ist die tatsächlich anspruchsvolle Musik aus der Zeit der Goldenen Epoche, die man sich hundert Mal anhören kann und bei der man trotzdem immer wieder etwas Neues entdeckt.

Kann mit einer der TJs auch nur einen einzigen Tango nennen, der musikalisch auch nur in die Nähe von diesen Werken kommt?

Zusammenfassung

Liebe TJs und TJanes, ich schätze Eure Arbeit sehr und ich weiß auch Euer Engagement zu schätzen. Aber bitte, bitte: Bleibt auf dem Teppich. Folgt nicht dem Rat von Christian, Euch jahrelang ausschließlich mit den Tango-Orchestern der EdO zu beschäftigen. Hört Euch stattdessen immer mal wieder richtige Musik aus der Goldenen Epoche an. Und dann haltet den Ball bitte etwas flacher und genießt die schöne, aber im Vergleich zu den klassischen Zeitgenossen nicht wirklich besonders anspruchsvolle Musik der Tango Orchester.

Kommentare

  1. > Weil die Qualitäten der Aufnahmen der EdO in jeder Hinsicht aussergewöhnlich sind

    ... ist es auf Encuentros absolut üblich bis zu 30 Sekunden eines Stückes zu verquatschen und die "außergewöhnliche" Musik komplett zu ignorieren: https://www.youtube.com/watch?v=Ahx8-KiJLUs

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