Musikalität im Tango Argentino

Ich habe schon in vielen Tango Workshops von Teilnehmern den Wunsch gehört, dass sie etwas über Musikalität im Tango erfahren wollen. Die Antwort der Lehrer war meistens sinngemäß, dass man erst einmal die perfekte Technik braucht, bevor man sich mit diesem Thema näher beschäftigen kann. Und man braucht auch ein umfangreiches Repertoire von rhythmischen und melodischen Figuren, aus dem man für die jeweilige Musik die passenden Figuren auswählen kann.

Diesen Ansatz halte ich für maßlos übertrieben und ausgesprochen kontraproduktiv. So wird Musikalität eher verhindert als gefördert. Mir hat das folgende Vorgehen geholfen mich weiterzuentwickeln:

  1. Voraussetzung für Musikalität ist, dass man sich von den Figuren löst. Jeder Schritt wird geführt und die Folgende erwartet keine Figuren sondern tanzt jeden Schritt genau so, wie er geführt wird.
  2. Insbesondere gibt es keine Vorgaben, in welchem Tempo ein Schritt getanzt wird. Jeder Schritt kann beschleunigt oder verzögert werden. Und auch Pausen sind erlaubt.
  3. Selbstverständlich kann die Folgende bei jedem Schritt eigene Akzente einbringen, also zum Beispiel eigene Verzierungen ergänzen oder eigene Verzögerungen einbauen.
  4. Figuren werden dekonstruiert. Das heißt, dass ich in jeder Figur an jedem stabilen Punkt einen anderen Weg wählen kann als ihn die originale Figur vorsieht.
Der Rest ist individuelle Kreativität, Fantasie, Ausprobieren und üben, üben, üben. Eigentlich gar nicht so schwer. 

Eine gute Technik und ein großes Repertoire helfen natürlich bei der Umsetzung der Musikalität. Aber beides ist keineswegs eine zwingende Voraussetzung, bevor man sich überhaupt mit der Musikalität beschäftigen kann. Ganz im Gegenteil: Sobald man den Grundschritt beherrscht, kann man damit beginnen, ihn passend zur Musik zu interpretieren. 

Bei jeder neuen Figur, die man lernt, kann man sie sowohl genau so tanzen, wie sie gelehrt wurde, als auch eine eigene Dekonstruktion und Interpretation der Figur vornehmen. Diese Arbeit nimmt einem kein Tanzlehrer ab. Das ist eine eigene kreative künstlerische Leistung.

Kommentare

  1. Zustimmung.
    Ich habe ein paar WS zum Thema Musikalität besucht / gesehen, weil ich das Thema interessant finde. war jedes Mal enttäuscht. Weil sie in der Regel entweder rein technisch warn (Welche Figur passt zu welcher Art von Musik?) oder Musik-theoretisch/strukturell (Abschnitte von Musik) oder nur Orchester-orientiert. (Schematisch: Wie tanze ich zu welchem Orchester?).
    Musikalität ist für mich aber 1. Musik bewusst wahrzunehmen 2. die daraus entstehende Emotionen zu spüren (zuzulassen) und erst 3. diese dann auszudrücken.
    Das ist primär eine individuelle Sache, aber das kann man auch (unterstützt) lernen / entwickeln (hab da ein paar Ideen). Nur nicht in den Musikalitäts-WS die bisher so angeboten werden,

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